Verkehrswende in Berlin kommt von allein
Während Ämter und Trägergesellschaften weiterhin im Corona-Modus sind und keinen einzigen Finger in Sachen Radverkehrsgesetz rühren, hat die Verkehrswende mit Beginn der Corona-Pandemie scheinbar ganz von allein Fahrt aufgenommen. Deutlich mehr Leute steigen endgültig aufs Rad um. Berlin setzt Pop-up-Radwege in die Tat um, die Fahrradfahrer*innen zusätzliche Sicherheit bieten.
Radverkehr wächst enorm
So wurden beispielsweise monatlich durchschnittlich 2,5 Millionen Berliner*innen mit dem Fahrrad an den derzeit 16 automatischen Zählstellen der Stadt registriert. Das sind 29% mehr als im Vorjahresdurchschnitt.
Dieses Beispiel steht exemplarisch für einen echten Boom-Trend. Eine bundesweite Befragung der Krankenkassen zeigt, dass ein Viertel der Befragten Wege zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen, für die zuvor das Auto oder der ÖPNV genutzt wurde.
Der Zweirad-Industrie-Verband hingegen reibt sich verdutzt die Augen, denn die besten Verkaufszahlen aller Zeiten sorgen für nachhaltig sichere Arbeitsplätze in der Produktion, im Vertrieb, im Handel und bei Services wie der Fahrradreparatur.
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Ist der COVID-19 Fahrradboom real? Die Zahlen sagen ja!
In Deutschland hat die diesjährige Ausgabe des „Mobility Monitor 2020“, einer jährlichen repräsentativen landesweiten Umfrage, signifikante Veränderungen im Mobilitätsverhalten aufgrund der COVID-19-Gesundheitskrise festgestellt.
Während 32% der Befragten angaben, aufgrund der Krise mehr Rad zu fahren, gaben 29% an, dass sie ihr Auto weniger benutzen. Darüber hinaus gaben 27% an, dass sie auch nach dem Ende der Krise mehr Rad fahren möchten, während 14% angaben, dass sie ihr Auto auch in Zukunft weniger nutzen werden.
Dies zeigt, dass die aktuellen Präferenzänderungen in Zukunft große Auswirkungen haben könnten und dass die Verkehrsplanung entsprechend angepasst werden sollte, indem beispielsweise die temporäre Fahrradinfrastruktur dauerhaft gemacht wird, um die zusätzliche Nachfrage auch mittel- und langfristig zu absorbieren.
Verkehrswende menschengemacht
In Corona-Zeiten erkennen viele Menschen die vielen Vorzüge des Fahrrads. Man entgeht nicht nur der Enge in den öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern kommt obendrein locker an all denen vorbei, die sich ins Auto setzen. So zeichnet sich ganz von allein ein großer Teil der vielbeschworenen Verkehrswende ab – menschengemacht.
Währenddessen stehen alle Bemühungen, Planungen und Projektgespräche, die der Fahrradstadt Berlin dienlich sind, still. Die Chancen, die sich für Städte und Kommunen bedingt durch die Pandemie bieten, werden durch den Personalnotstand in öffentlichen Entscheidungsebenen und Institutionen erneut vertan: “Jetzt fahren die Leute schon freiwillig mit dem Rad und trotzdem blockieren die Entscheidungsträger alle Bestrebungen, die passenden und notwendigen Infrastruktur-Maßnahmen auf den Weg zu bringen.”, sagt Orlando Mittmann, Projektleiter beim Radkreuz Berlin – einer Initiative, die sich für Radverkehrsprojekte an Hauptverkehrsknotenpunkten engagiert.
“Mit Beginn der Corona-Krise sind die Zahlen explodiert. Das Radverkehrsaufkommen hat sich mehr als verdoppelt. Die Nutzung von Leihrädern ist stark angewachsen. Zudem hat auch der letzte Berliner irgendwo im Keller sein altes Rad gefunden und lässt dieses nun in der Werkstatt reparieren. Die Berliner Fahrradwerkstätten sind in der Regel 1 Woche im voraus ausgebucht. Das diese starken und positiven Umbrüche in der Gesellschaft nicht von den politischen Entscheidungsträgern unterstützt und gefördert werden, ist mir und vielen Verantwortlichen in den einzelnen Fahrradprojekten absolut unverständlich und in der Folge fatal.”, so Mittmann.
Ist Radfahren tatsächlich die beste Art, sich fortzubewegen?
Das kann man so oder so sehen. Stark wachsender Fahrradverkehr hat auch leider zur Folge, dass die Unfallzahlen deutlich steigen. Einerseits liegt dies an der oft stark mangelnden Kenntnis der Straßenverkehrsregeln, verursacht durch die fehlende Verkehrserziehung in der Schule. Andererseits herrscht eine oft verheerende Einstellung der Fahrradfahrer*innen, was Vorsicht, Rücksicht und Umsicht im Straßenverkehr angeht.
Insbesondere das Telefonieren während der Fahrradfahrt oder große Kopfhörer auf dem Ohren sind oft die Ursachen für Fahrradunfälle. Die Zahlen der verunglückten Radfahrer*innen steigen an.
Pop-up-Radwege velorutionieren die Verkehrswende
Berlin in seiner ungestümen Weise hat mit den neuen Pop-up-Radwegen für Aufsehen gesorgt. Seit der findige Leiter des Kreuzberger Grünflächenamts im März die ersten Autospuren kurzerhand in Radwege umwidmete, entstanden stadtweit bereits mehr als 22 Kilometer Radweg – eine Velorution.
Die Berliner*innen jedenfalls sind begeistert und wollen mehr, viel mehr. Sie erkennen jetzt deutlich, wie sehr man als Radfahrer*in im Rest der Stadt von der Autogesellschaft verarscht wird. Derweil stöhnen die altbekannten Lobbyisten des ADAC und der FDP schon über diesen Tropfen auf dem heißen Asphalt. Es warten mehr als 1.500 Kilometer Straßen auf mehr Platz für Radler*innen. Die ersten Infrastrukturprojekte zur Verbesserung des Radverkehrs sind für 2024 avisiert. Man hat ja Zeit.
Unfallforscher: “Das Radeln in Innenstädten ist zu gefährlich”
Mit der Planung einer Fahrradinfrastruktur tun sich nicht nur Berliner Verwaltungen und Institutionen schwer. So gibt es im Ruhrgebiet bereits seit mehr als 10 Jahren die Idee für einen mehr als 100 Kilometer langen Routenweg von Duisburg bis Hamm. Bei der Einweihung 2015 wurden die ersten 6 Kilometer als bundesweites Leuchtturmprojekt gefeiert. Heute ist man weitere 6 Kilometer vorangekommen.
Das ist nicht nur zum fremdschämen, sondern lockt auch bereits jetzt vermehrt Radler*innen an, die sich in einer Sicherheit wiegen, die es nicht gibt. Weder auf dem Weg dorthin, noch auf den Teilstücken selbst. In Berlin ist die Tragik wilden Aktionismus bereits jetzt schon Realität: Auf einem der vielen Pop-up-Radwege wurde schon eine Frau von einem Lkw überrollt, weil es an den Kreuzungen an sicherer Infrastruktur fehlt. Kein Wunder, dass Unfallforscher raten, in Innenstädten aufs Rad zu verzichten – es ist ihnen schlichtweg zu gefährlich.
Kürzlich stellte das Projekt fixmyberlin die Ergebnisse einer Straßencheck-Umfrage vor. Ein Ergebnis ist u.a., dass nur vom Autoverkehr baulich abgetrennte Radwege als sicher empfunden werden. Besonders bemerkenswert hierbei: Dies empfinden auch die Autofahrer*innen so. Eine funktionierende und umfassende Fahrradinfrastruktur würde allen helfen. Sie müsste nur gebaut werden.